Low Carb ein Widerspruch zu Clean Eating?
Mittlerweile gibt es gefühlt tausend verschiedene Ernährungsansätze mit den unterschiedlichsten Hintergründen und jeder bringt seine Vor- aber auch seine Nachteile. Gibt es also eine Ernährung, die perfekt ist?
Ich freue mich immer wieder über Feedback einzelner Leser oder auch über Menschen, die mich auf dem Rad, bei Rennveranstaltungen o.Ä. auf Healthy Roadbike ansprechen. Ich empfinde einen stetigen Austausch, insbesondere über kritische Aspekte, sehr spannend.
Eine Anfrage von Paole, der sich auf Grund meines Blogs und dem persönlichen Austausch bei Radtouren nun ausführlicher mit dem Thema Low Carb beschäftigt hat, hat folgenden Kommentar hinterlassen:
Lieber Helsi,
ich bin zwar kein LowCarbler geworden, aber durch die Gespräche mit dir über dieses Thema hab ich zumindest mal angefangen etwas über meine Ernährung nachzudenken und diese dann auch etwas umgestellt.
Hier kommen kurz mal meine Erfahrungen damit und ein paar Ideen und Schwierigkeiten, die ich mit/zu dem Thema LowCarb so habe.
Noch vor einem halben Jahr habe ich eigentlich bedenkenlos Essen in mich reingeschaufelt, vor allem Kohlenhydrate. Das geschah auch gerne schon mal 45 Minuten nach Beginn einer Ausfahrt, denn da stellte sich manchmal schon der erste Hunger ein. Auch passiert: Hungeräste auf der Commute-Strecke, für die ich ca. 45 Minuten brauche. Diese Symptome in Verbindung mit dem, was du mir über LowCarb erzählt hattest, haben mich dann dazu gebracht, etwas an meiner Ernährung zu ändern.
Nach Karneval habe ich (quasi als Fasten) begonnen, die Kohlenhydratzufuhr Schritt für Schritt zu reduzieren, besonders Kristall-Zucker. Das waren zum Einen ganz kleine Dinge, wie den Zucker im Kaffee weg zu lassen (nach etwa drei Wochen hatte ich mich daran gewöhnt und mag es jetzt seeeeehr gerne), der Austausch von Nüssen etc. statt Süßigkeiten, bis hin zu einzeln in der Woche eingestreuten LowCarb-Varianten.
Ich glaube, es hat funktioniert! Ich komme seit einigen Monaten gerne auch mal 3 oder vier Stunden auf dem Rad mit wenn überhaupt einer Banane oder einem Riegel gut aus. Das wäre vorher undenkbar gewesen. Insofern also: Cool, danke für den Anstoß!
Was mir dabei schwer fällt ist, das ganze mit meinem Öko-Wahn zu vereinbaren, der dir vielleicht bekannt ist. Klar, wenn ich weniger Kohlenhydrate zu mir nehme, wiege ich das vor Allem mit Fett und Proteinen auf. Das führt dazu, dass ich insbesondere mehr Milchprodukte und Fleisch esse. Beides hat halt leider (auch wenn es noch so bio ist) eine schlechtere Öko-, CO2- oder auch Wasser-Bilanz. Auch die geileren, meist fettreichen Sachen (Oliven, Advocado, versch. Nüsse) in der Liste oben sind meistens von weiter weg und fallen damit auch in diese Kategorie. Also ich bin noch auf der Suche nach weiteren guten, regional-saisonalen Carbo-Ersatzstoffen, denn ich kann mich ja nicht nur Möhren und Kohl ernähren. Ich werde deine Liste hier mal weiter als Basis nehmen.
Ach: Heute hab ich zufällig noch was neues, snackbares im Alnatura entdeckt: Geröstete Sojakerne. Kommen angeblich "nur" aus dem noch halbwegs nahem Österreich, schmecken (nach Brot) und haben jede Menge Proteine intus (38g/100g).
Und wobei ich mir noch unsicher bin: Ich vermute, dass ich deutlich mehr Salz zu mir nehme, als vor der oben beschriebenen Umstellung, da eben viele meiner Ersatzstoffe recht salzhaltig sind (bes. Fleisch, Käse, geliebte Erdnüsse). Wobei glaub ich auch zB Brot, dessen Konsum ich von vielleich 10 auf 5 Scheiben am Tag reduziert habe, glaube ich relativ viel Salz enthält.
Nebenbei: Schönes Porzellan!
Viele Grüße, Paole.
Erst einmal einen herzlichen Dank an Paole, der mir diesen Kommentar hat zukommen lassen und der auch kein Problem damit hat diesen hier zu veröffentlichen.
Zunächst freue ich mich riesig darüber, dass die, wenn auch nur geringe, Ernährungsumstellung schon so viel bewirkt hat. Ich weiß, dass auch dafür eine gewisse Disziplin vorhanden sein muss und es gerade am Anfang nicht leicht ist die gewohnten Mahlzeiten umzustellen. Deshalb Hut ab, dass du es nun schon ein halbes Jahr durchgezogen hast. Finde ich super! Besonders auf Zucker zu verzichten bzw. diesen im Alltag zu reduzieren begeistert mich sehr. Industriell hergestellter Zucker ist in meinen Augen, das worauf man am leichtesten verzichten kann und der Körper sofort darauf anspringt. Wozu brauchen wir den Zucker im Alltag? Garnicht! Nirgendwo! Der Körper dankt es uns sofort.
Klasse ist außerdem, dass Paole auch im Training den Effekt so schnell gemerkt hat und auch einen Erfolg dadurch verzeichnen kann. Wer fährt schon gerne bei einem Rennen an jeder Tankstelle vorbei um sich einen Snickers zu kaufen oder wer packt sich schon gerne seine Taschen so voll, dass er drei Kilogramm Zusatzgewicht dabei hat?! Das ist natürlich jetzt etwas übertrieben, aber all das, was der Körper während des Rennens nicht aufnehmen muss, ist eine Erleichterung für den gesamten Organismus.
Wie oft gibt es auch bei den Profis Magen- oder Darmprobleme?! Wir werden wohl alle nicht so schnell vergessen wie Tom Dumoulin im Rosa Trikot beim Giro d'Italia am Seitenrand halten muss, sich sein Trikot auszieht und sich in den Graben setzt. Dieser Zustand kann viele Ursachen haben, aber dass dies durch die Ernährung während der Belastung stattfindet wäre durch aus möglich.
Was ich damit sagen möchte ist, dass die Leistung auf dem Rad von vielen Faktoren abhängig ist und eben auch von der Ernährung. Je weniger Nahrung wir während einer Anstrengung zu uns nehmen müssen, desto weniger anfällig sind wir für Probleme oder Leistungseinschnitte währenddessen. Paole beschreibt dies mit einem Hungerast. Den wird er mit Sicherheit nicht mehr so schnell auf dem Weg zur Arbeit bekommen. Erfolg durch Ernährung! Top :)
Bei Paole treffen zwei Ernährungsstile aufeinander. Ich fasse mal seinen "Öko-Wahn" als "Clean Eating zusammen. Das spielgelt es vielleicht nicht in Gänze wieder, aber geht auf jeden Fall in die Richtung. Auf der anderen Seite ist nun Low Carb hinzugekommen.
Low Carb vs. Clean Eating?
Die Frage lässt sie wie folgt beantworten JEIN.
Tierische Produkte - Ein zweischneidiges Schwert
Ich ernähre mich Low Carb, in dem ich viele Milchprodukte, Öle, Nüsse, Früchte, Gemüse, Fleisch, Fisch etc. esse. Diese Produkte im Rahmen des Clean Eating Konzepts zu kaufen ist nicht immer ganz einfach. Tierische Produkte, also Milch, Quark, Eier, Fisch, Fleisch etc. sind Lebensmittel, die eine gewisse Umweltbelastung mit sich bringen. Doch auch hier gibt es viele Möglichkeiten aus der Massenproduktion, Massentierhaltung etc. auszubrechen und somit eine nachhaltige Beschaffungskette zu fördern. Schaut euch an wo eure Milchprodukte, wo euer Fleisch usw. herkommt. Das macht schon einen riesigen Unterschied und ihr unterstützt eine artgerechte Haltung und Verarbeitung von diesen Produkten. Es gibt mittlerweile nicht nur Milch, Eier etc. bei Bauernhöfen zu kaufen, sondern auch Quark und Joghurt. Wem die Ökobilanz wichtig ist, der sollte meiner Meinung nach, anstatt auf diese Produkte zu verzichten, sich die Mühe machen die Lebensmittel dort zu beschaffen, wo man noch von Qualität und nachhaltiger Viehwirtschaft sprechen kann. Aber auch, wenn ihr euch Low Carb ernährt solltet ihr nicht jeden Tag Fisch und Fleisch essen.
Gemüse und Obst - Deutschland bietet Vielfalt
Bei Obst und Gemüse, die zwar auch Kohlenhydrate beinhalten aber auf Grund von Vitaminen etc. zum wesentlichen Bestandteil der Ernährung gehören sollten, kann auch auf die Regionalität geachtet werden. Wer Platz auf dem Balkon oder im Garten hat, der kann natürlich Vieles auch selbst anbauen. Das kann man nicht unbedingt voraussetzen, aber so ein Tomatenpflänzchen macht sich super und die Qualität wird euch umhauen.
In der Kategorie Gemüse sind neben den Kohlprodukten, die Paole angesprochen hat, auch Salate, Möhren, Paprika, Zucchini, Gurken usw. Lebensmittel, die in Deutschland angebaut werden. Also sollte dies kein Problem sein sie regional zu beschaffen. Wochenmärkte sind hier eine tolle Möglichkeit. Aber auch hier fragen: "Wo kommt die Zucchini her?"
Beim Obst muss man ein bisschen saisonal "vorbeugen". So will ich es mal nennen. Im Sommer gibt es viele viele Obstsorten zur Auswahl. Doch Erdbeeren, Himbeeren, Waldbeeren etc. sind im Winter nur schlecht zu erwerben, es sei denn wir vernachlässigen die regionale Herkunft. Doch das wollen wir ja nicht. Deshalb mein Tipp. Alles, was es nur im Sommer gibt gerne einfrieren und im Winter wieder auftauen. Funktioniert, gerade bei Obst, super.
Nüsse - Öle - Kerne
Walnüsse, Sonnenblumenkerne und viele verschiedene Öle gibt es auch bei uns. Walnüsse beispielsweise kann man in vielen Parks sammeln gehen und sie halten sich durchaus eine längere Zeit kühl und trocken gelagert.
Low Carb schädigt die Öko-, CO2 und Wasserbilanz?
Ich bin der Auffassung, dass man mit Sicherheit durch eine andere Ernährung noch mehr auf diese Aspekte achten kann und die vielen tierischen Produkte diese nicht fördern, doch bei allem was wir tun, sollten wir viele Faktoren berücksichtigen.
Die Landwirtschaft, wie wir sie mittlerweile in Europa und insbesondere in Deutschland finden, hat nichts mehr mit einem ökologischen Gleichgewicht zu tun. Wir produzieren zum Großteil nicht mehr für den eigenen Bedarf, sondern für viele Länder auf der ganzen Welt. Wir beuten dadurch unsere Natur aus und zerstören ein ökologisches Gleichgewicht. Auf Grund dessen sehe ich Low Carb nicht als Förderer der Viehwirtschaft, sondern auch als Reduzierer der Landwirtschaft. Der Verzicht auf Weizenprodukte, wie z.B. Brot und Nudeln ist ein wesentlicher Bestandteil meiner Ernährung und dies auszuprobieren rate ich jedem.
Massentierhaltung ist in meinen Augen ein ähnlich großes Problem, dem wir durch Low Carb nicht wirklich entgegenwirken, aber auch hier sollte der Weg zurück zur Nachhaltigkeit gehen. Regionale Beschaffung und die Förderung von kleinen Betrieben ist das, was wir auch durch kohlenhydratarme Ernährung erreichen können, wenn wir die finanziellen Mittel und den Willen dazu haben.
Ernährung - Finde deinen Weg
Meines Erachtens nach gibt es nicht DIE perfekte Ernährung. Ernährung ist viel mehr, als die Gabel zum Mund zu führen und den Körper zu sättigen.
Wo kommen die Lebensmittel her, die ich auf der Gabel habe?
Wen Fördere ich, wenn ich mein Geld dafür ausgebe?
Was passiert mit meiner Umwelt, wenn ich die Produkte konsumiere?
Schmeckt mir das, was ich gerade in mich hereinschiebe?
Was passiert mit meinem Körper, wenn ich das Stück herunterschlucke?
Was macht mein Magen oder Darm mit dem, was ich nun in mir habe?
Wie wirkt es sich auf meine Leistungen aus?
Wie sieht mein Körper aus, wenn ich regelmäßig davon esse?
Diese Fragen können so individuell beantwortet werden und jeder sollte sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Jeder muss aber auch für sich den richtigen Weg finden. Was ist mir wichtig, wenn ich an meine Ernährung denke?! Stelle dir diese acht Fragen und schaue, welche du priorisierst. Du wirst nie alle Fragen so beantworten können, dass du denkst, das ist die perfekte Ernährung. Das schaffst du wahrscheinlich nur wenn du autark lebst, deine eigenen Tiere hältst, deinen eigenen Obst- und Gemüsegarten und viel Zeit und Arbeit mit der Verarbeitung von den Früchten der Natur verbringst. Doch das ist mehr als ein 40 Wochenstunden Job.
Ich danke Paole für den Beitrag und hoffe, dass ich meinen Standpunkt zu den eingebrachten Aspekten ausreichend beleuchten konnte. Ich habe versucht hier jetzt keine Grundsatzdiskussion zu entfachen und freue mich über weitere Kommentare von euch.
Findet eure "perfekte" Ernährung!!
Radsportliche Grüße
Healthy Roadbike